DFB-Frauen starten am Freitag gegen Polen in die EM
Frauen-EM 2025: Lina Magull im Interview - "Ich zähle Deutschland mit zu den Favoriten"
- Veröffentlicht: 03.07.2025
- 14:24 Uhr
- Christian Stüwe
Die Vize-Europameisterin von 2022 spricht im Interview mit ran über die Favoritinnen bei der EM, die Chancen der DFB-Frauen und ihr Tor im Finale gegen England vor drei Jahren. Lina Magull verrät auch, welchem Team sie die Rolle als Überraschungsmannschaft zutraut.
Bei der letzten Europameisterschaft vor drei Jahren verpassten die DFB-Frauen den Titel denkbar knapp.
In einem spannenden Endspiel mussten sich die deutschen Fußballerinnen den Gastgeberinnen aus England mit 1:2 nach Verlängerung geschlagen geben.
Den zwischenzeitlichen Ausgleich, der das DFB-Team in die Verlängerung brachte, erzielte Lina Magull. Im März dieses Jahres beendete die 30-jährige Mittelfeldspielerin von Inter Mailand ihre Karriere in der Nationalmannschaft nach 77 Spielen und 22 Toren.
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Im Interview mit ran erinnert sich Magull an die EM 2022 und blickt auf das Turnier in der Schweiz voraus. Sie spricht über die Chancen des deutschen Teams, die Favoritinnen bei der EM und über die Unterschiede zwischen dem Fußball in Italien und Deutschland.
Die deutsche Mannschaft startet am Freitag gegen Polen in das Turnier (21 Uhr im Liveticker auf ran.de).
ran: Lina Magull, das dramatische EM-Finale gegen England liegt jetzt fast drei Jahre zurück. Wie oft denken Sie noch an das Spiel?
Lina Magull: Ja, tatsächlich sehr oft – ich werde nach wie vor regelmäßig darauf angesprochen. Das ist schön, denn es zeigt, dass dieses Spiel in den Köpfen vieler Menschen hängen geblieben ist. Es bleibt eine besondere Erinnerung, weil wir mit der EM nicht nur sportlich überzeugt, sondern auch gesellschaftlich etwas für den Frauenfußball in Deutschland bewegt haben. Wir konnten das Spiel nicht gewinnen, aber drumherum sehr viel bewegen - und das macht es im Rückblick umso wertvoller.
ran: Sie haben im Wembley-Stadion vor fast 90.000 Menschen das zwischenzeitliche 1:1 erzielt, das Tor hat die DFB-Frauen in die Verlängerung gebracht. Wie hat sich das angefühlt?
Magull: Das war wirklich ein unglaublich schönes Gefühl. Und doch ging alles so schnell, dass ich den Moment in seiner ganzen Bedeutung gar nicht sofort greifen konnte – da funktionieren viele Dinge einfach automatisch. Trotzdem bleibt es ein Augenblick, der mir für immer in Erinnerung bleiben wird. Ein ganz besonderer Moment, vor so vielen Menschen, in einem so wichtigen Spiel.
ran: Die Niederlage war unglücklich, beim Stand von 0:0 hätte Deutschland wohl einen Handelfmeter bekommen müssen. Hadern Sie manchmal noch mit dem Ausgang des Spiels?
Magull: Ehrlich gesagt: nein, ich habe nicht lange darüber nachgedacht. Es bringt ja auch nichts – das Spiel ist vorbei. Aber rückblickend ist es schon verrückt, dass über diese Szene kaum gesprochen wurde. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum sich die Aktion nicht noch einmal angeschaut wurde. Das war aus meiner Sicht ein klarer Fehler des Schiedsrichterinnen-Teams. Ich denke, mit dem gestiegenen Interesse am Frauenfußball würde eine solche Situation heute deutlich mehr Aufmerksamkeit und Diskussionen auslösen.
ran: Sie haben es bereits angesprochen, die Auftritte der deutschen Mannschaft bei der EM in England haben einen Hype um den Frauenfußball in Deutschland ausgelöst, die Spielerinnen wurden nach dem Turnier deutlich häufiger auf der Straße erkannt, die Zuschauerzahlen in den Bundesliga-Stadien stiegen. Kann so etwas diesmal bei dem Turnier in der Schweiz wieder gelingen?
Magull: Ja, definitiv. Die meisten Spiele sind jetzt schon ausverkauft, und da die Schweiz nicht weit entfernt ist, rechne ich damit, dass viele Fans aus Deutschland anreisen werden. Die Aufmerksamkeit für den Frauenfußball ist spürbar gewachsen, ebenso das Interesse am Turnier insgesamt. Die Vorfreude auf ein schönes und qualitativ hochwertiges Turnier ist da. Außerdem gibt es immer mehr Fußballerinnen, die als echte Vorbilder dienen – nicht nur für fußballbegeisterte Mädchen, sondern auch für Jungen und Erwachsene. Das ist eine sehr schöne und wichtige Entwicklung.
ran: Die DFB-Frauen haben einen sehr großen Umbruch hinter sich, Christian Wück geht in sein erstes Turnier als Bundestrainer. Viele langjährige Spielerinnen, zu denen auch Sie zählen, sind nicht mehr dabei. Wo steht die deutsche Mannschaft derzeit?
Magull: Das lässt sich im Moment schwer genau einschätzen. Christian Wück ist seit einigen Monaten im Amt, und im Kader stehen sowohl neue Gesichter als auch erfahrene Spielerinnen. Insgesamt bringt die Mannschaft eine große Qualität mit. Die letzten beiden Spiele in der Nations League gegen Österreich und die Niederlande haben gezeigt, dass sich das Team gefunden hat. Noch wichtiger ist aber der Eindruck, dass eine echte Geschlossenheit entstanden ist. Man hört immer wieder, dass sich die Spielerinnen untereinander gut verstehen, sich gegenseitig unterstützen und ein echtes Miteinander leben – und genau das braucht es, um erfolgreich in ein Turnier zu gehen: ein Team, in dem jede ihre Rolle kennt und annimmt.
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ran: Ganz konkret, was denken Sie ist drin für die deutsche Mannschaft?
Magull: Das ist immer eine schwierige Frage. Aber wenn ein guter Start ins Turnier gelingt, denke ich schon, dass sie gute Chancen haben. Ich würde Deutschland mit zu den Favoriten zählen. Die Vorbereitung in Herzogenaurach scheint gut gelaufen zu sein und ich traue dem Team zu, die Gruppenphase souverän zu meistern. Ich hoffe natürlich, dass die deutsche Mannschaft wieder bis zum Ende dabei sein wird und traue ihnen einiges zu.
ran: Auch die Spielerinnen betonen immer wieder, wie wichtig der Start ins Turnier wird. Wird das erste Spiel gegen Polen tatsächlich entscheidend für den weiteren Turnierverlauf?
Magull: Ich denke schon. Auf dem ersten Spiel liegt immer viel Druck, da ist viel Nervosität dabei. Da zeigt sich dann, wie die Spielerinnen damit umgehen können. Im ersten Spiel wird sich auch zeigen, wie die Mannschaft die Vorgaben des Trainers umsetzen können wird, wie bissig und heiß das Team auf die EM ist. Das erste Spiel ist auch wichtig, um den anderen Nationen zu zeigen, was sie von Deutschland zu erwarten haben.
ran: Neben Polen gehören Dänemark und Schweden zur deutschen Gruppe C. Wie stark schätzen Sie die Gruppe ein?
Magull: Das ist schon eine schwierige Gruppe. Vor allem die skandinavischen Mannschaften finde ich immer ein bisschen unterbewertet. Schweden kommt bei den großen Turnieren immer sehr weit, konnte aber bis auf die EM 1984 noch nie einen Titel gewinnen. Das ist eine sehr erfahrene Mannschaft und auf jeden Fall der schwierigste Gegner. Polen und Dänemark haben auch gute Mannschaften, bei Polen steht Ewa Pajor im Blickpunkt, bei Dänemark Pernille Harder. Das sind Spielerinnen, die eine Mannschaft tragen können. Aber insgesamt ist der deutsche Kader besser aufgestellt.
ran: Sie haben Deutschland als Mitfavoriten genannt. Wer sind für Sie die anderen Favoriten auf den Titelgewinn?
Magull: Für mich gehört Spanien ganz klar zu den Top-Favoritinnen. Auch England ist trotz einiger kritischer Stimmen zuletzt weiterhin stark einzuschätzen. Schweden zähle ich ebenfalls zum Favoritenkreis – sie sind erfahren, konstant und bei großen Turnieren immer gefährlich. Und dann hoffe ich sehr, dass Italien ein starkes Turnier spielt. Ich kenne einige der Spielerinnen persönlich und würde es ihnen von Herzen gönnen, dass sie zeigen können, wie viel Qualität in ihnen steckt. Italien zählt für mich zwar nicht zu den Favoriten, könnte aber durchaus die Überraschungsmannschaft dieser Europameisterschaft werden.
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ran: Spanien wird überall als der große Favorit gehandelt. Stehen die Spanierinnen wirklich so weit vor allen anderen Mannschaften?
Magull: Ich würde nicht sagen, dass Spanien allen anderen Mannschaften meilenweit voraus ist. Aber sie haben über die letzten Jahre kontinuierlich gezeigt, dass sie Spiele sehr gut kontrollieren können. Der Kader ist mit Spielerinnen gespickt, die einfach Weltklasse-Niveau haben. Viele kommen vom FC Barcelona, der herausragenden Vereinsmannschaft der letzten Jahre – auch wenn sie dieses Jahr das Finale der Champions League gegen Arsenal verloren haben. Es macht schon Spaß, der Mannschaft zuzuschauen, weil sie viele Zockerinnen auf dem Platz haben, die ein Spiel entscheiden können. Aber insgesamt wird das Niveau immer besser, die Mannschaften sind leistungsmäßig auch im Frauenfußball immer enger zusammengerückt. Das ist schön, weil es die Spiele spannender macht. Deshalb ist es für jede Mannschaft schwieriger, zu dominieren. Dennoch muss man anerkennen: Spanien gilt zu Recht als einer der Favoriten.
ran: Zurück zu Italien. Sie sind vor eineinhalb Jahren vom FC Bayern zu Inter Mailand gewechselt. Wo steht der italienische Frauenfußball im Vergleich zum deutschen?
Magull: Es ist immer ein bisschen schwierig, zu vergleichen. Deutschland hat es hinbekommen, die Aufmerksamkeit für den Frauenfußball in den letzten Jahren zu erhöhen und mehr in den Frauenfußball zu investieren. Es ist auch schön zu sehen, dass jetzt Mannschaften wie der Hamburger SV oder Union Berlin in die Bundesliga aufgestiegen sind. Beim HSV standen die Frauen lange Zeit nicht so im Fokus, doch mittlerweile wird verstärkt investiert, was der Bundesliga insgesamt mehr Aufmerksamkeit verschaffen wird.
ran: Und in Italien?
Magull: Die großen Vereine haben ebenfalls Frauenmannschaften, aber man hat das Potenzial erst später erkannt. Aber jetzt ist es so, dass die Serie A femminile die am schnellsten wachsende Liga in Europa ist. In den eineinhalb Jahren, die ich nun für Inter spiele, habe ich diese enorme Entwicklung aus erster Hand miterlebt. Für mich persönlich ist es eine spannende Erfahrung, ein anderes Land auch aus fußballerischer Sicht kennenzulernen. Das Niveau ist bereits vergleichbar gut, auch wenn es in der Liga keinen klaren Ausreißer wie den FC Bayern in Deutschland gibt – aber viele Teams bewegen sich auf einem ähnlichen hohen Level. Bei uns wird sehr professionell gearbeitet und es ist lobenswert, dass sich die Arbeit so schnell über die letzten Jahre ausgezahlt hat.
Es ist auffällig, dass in Italien immer sehr gewollt nach vorne gespielt wird, keine Mannschaft stellt sich hinten rein. Es wird sich sehr viel zugetraut und häufig ins Dribbling oder in Eins-gegen-Eins-Situationen gegangen. Auch taktisch hat sich der Fußball deutlich verbessert, wobei ich es persönlich gut finde, wenn nicht immer alles bis ins kleinste Detail vorgeschrieben ist. Für mich ist das Niveau des Frauenfußballs in Italien mittlerweile sehr hoch, und ich hoffe, dass die Sichtbarkeit auch immer weiter zunimmt. Es wird schon viel dafür getan.
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ran: Mit Inter Mailand haben Sie sich erstmals für die Champions League qualifiziert. Würden Sie gerne gegen einen Ihrer Ex-Klubs FC Bayern oder VfL Wolfsburg spielen oder solchen Duellen lieber aus dem Weg gehen?
Magull: Es wäre schön, wenn wir gegen Bayern oder Wolfsburg spielen könnten. Weil das bedeuten würde, dass wir uns für die Ligaphase qualifiziert hätten. Im August steht für uns zunächst die Qualifikationsrunde gegen den SK Brann aus Norwegen an, was eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Von daher wäre es ein Riesenerfolg irgendwann auf Bayern oder Wolfsburg zu treffen. Auch wenn ich erstmal lieber leichtere Gegner bekommen würde.
ran: Bei der EM werden in vielen Mannschaften ehemalige oder aktuelle Mitspielerinnen von Ihnen auflaufen. Werden Sie Kontakt haben und wie werden Sie das Turnier verfolgen?
Magull: Ich bin gespannt, wie es sein wird, das Turnier dieses Mal einfach als Zuschauerin im Fernsehen zu verfolgen. Die Vorfreude auf die Spiele ist auf jeden Fall groß. Sicher werde ich mich bei der einen oder anderen melden.