Motorsport Formel 1
Carlos Sainz: "Verstehe nicht, warum man mich nicht neben Max wollte"
Als Carlos Sainz Ende Januar 2024 von einem Freund erfahren hat, dass Ferrari seinen Vertrag nicht verlängern wird, sondern stattdessen Lewis Hamilton engagieren wird, war die Überraschung groß: "Ich war komplett schockiert. Ich dachte, dass ich bei Ferrari sein würde, und auf einmal ersetzt mich Lewis. Was soll ich jetzt tun? Ich hatte niemals damit gerechnet, dass das passieren könnte", erzählt der 30-Jährige heute, eineinhalb Jahre später, über den wahrscheinlich schwierigsten Winter seines Lebens.
Sainz' Ferrari-Vertrag lief Ende 2024 aus, und schon während der Saison 2023 wurde darüber spekuliert, wann dieser verlängert werden würde. Charles Leclerc war langfristig ans Team gebunden, und die meisten Beobachter gingen davon aus, dass auch Sainz bleiben würde. An Hamilton hatte Ferrari vor ein paar Jahren schon mal Interesse gezeigt. Doch dass er zur Saison 2025 wirklich engagiert werden würde, das hatte kaum jemand auf dem Schirm. Zumal die allgemeine Annahme war, dass Hamilton bis Ende 2025 an Mercedes gebunden sei.
In einem Interview mit The High Performance Podcast erinnert sich Sainz: "Ich war mitten in der Vorbereitung auf die Saison 2024. Ich hatte Hoffnung, dass der Ferrari ein konkurrenzfähiges Auto sein würde. Ich hatte im Dezember und Januar natürlich alles getan, um mich auf diese Saison vorzubereiten."
"Die Vertragsverhandlungen mit Ferrari stockten auf seltsame Weise ein wenig, obwohl wir seit Oktober über eine Vertragsverlängerung gesprochen hatten. Sie haben den Zeitpunkt der Unterschrift und der Einigung immer wieder hinausgeschoben. Aber ich hatte nie ein schlechtes Gefühl dabei und dachte nie, dass es nicht passieren würde, denn jedes Feedback, das ich bekam, lautete: 'Wir machen auf jeden Fall weiter. Es geht nur noch darum, in ein paar Stunden die wirtschaftlichen Details und zwei, drei Dinge in deinem zukünftigen Vertrag zu klären. Aber es wird ein einfacher Vertrag, und wir machen das ganz schnell.'"
Nach Ferrari-Aus: Starke Leistungen auf der Strecke
Ende Januar kam dann der Anruf von Ferrari, und Sainz verrät, dass er "gut eine Woche" gebraucht habe, den Schock zu verdauen. Auf der Rennstrecke reagierte er trotzig auf die Nachricht - mit den wahrscheinlich besten Ergebnissen, die er bis dahin je geliefert hatte: Dritter beim Saisonauftakt in Bahrain, Sieger in Australien, Dritter in Japan. Am Grand Prix von Saudi-Arabien konnte er wegen einer Blinddarmentzündung nicht teilnehmen.
Sainz steckte jetzt mittendrin in der Suche nach einem neuen Team. Eine der naheliegend erscheinenden Möglichkeiten war Mercedes. Schließlich hatte Teamchef Toto Wolff gerade Hamilton an Ferrari verloren. Sainz glaubt aber, dass "nicht wirklich", dass er je nahe an einem Wechsel dorthin dran war: "Wir haben damals natürlich mit Toto gesprochen, und ich war sicher eine Möglichkeit, die sie in Betracht gezogen haben. Wie ernsthaft? Ich kann Toto fragen. Aber ich denke, er ist mit Kimi sehr happy."
Mercedes entschied sich letztendlich gegen die Variante Sainz und für die Variante Risiko, mit dem hauseigenen Junior Andrea Kimi Antonelli. Blieb, was die Topteams betrifft, noch Red Bull als Möglichkeit. Sainz war schon 2015/16 neben Max Verstappen bei Toro Rosso gefahren - eine Paarung, die in der Außenwahrnehmung nicht immer friktionsfrei war. Dem Vernehmen nach auch, weil nicht nur die Söhne Carlos jun. und Max miteinander konkurrierten, sondern auch die Väter Carlos sen. und Jos.
Dabei findet Sainz: "Ich verstehe mich wirklich gut mit Max. Das sehen die Leute von außen nicht. Wir hatten in unserem ersten Jahr in der Formel 1 bei Toro Rosso eine Rivalität, aber es war eine relativ gesunde Rivalität, was ihn und mich betrifft und wie wir das Racing damals angegangen sind. Und heute verstehen wir uns richtig gut. Wenn das also der Grund sein sollte, verstehe ich nicht, warum man mich nicht neben Max haben wollen würde. Denn ich denke, wir wären tatsächlich ein sehr starkes Team in der Formel 1."
Sainz: Bin sicher, das hätte geklappt bei Red Bull!
Warum Sainz bei Red Bull im Frühjahr 2024 letztendlich nie ein wirklich konkretes Thema war, ist bis heute nicht dokumentiert. Möglicherweise lag es auch daran, dass das Team mit internen Streitereien beschäftigt war. Es ist bekannt, dass Helmut Marko und Carlos Sainz sen. ein gutes Verhältnis pflegen. Und doch war eine Neuauflage der Toro-Rosso-Fahrerpaarung von 2015/16 offenbar kein Thema.
Sainz bedauert das im Nachhinein: "Ich glaube, jeder hat es derzeit richtig schwer, Max' Teamkollege zu sein. Ich kann nur sagen: Als ich Max' Teamkollege war, hatte ich diese Schwierigkeiten nicht. Ich war natürlich unglaublich überrascht, wie schnell er war. Er ist ein wahnsinnig guter Fahrer. Er wird einer der Besten der Geschichte sein, wenn er das nicht sowieso schon ist."
"Aber dieses erste gemeinsame Jahr hat mir das Selbstvertrauen gegeben, zu wissen: Ich kann gegen jeden bestehen. Ich war Teamkollege von Charles, von Lando, von Nico Hülkenberg - alles sehr schnelle Jungs, vielleicht die besten im Sport. Und jetzt Alex, auch unglaublich schnell. Das motiviert mich nur noch mehr, mich mit den Besten zu messen. Ich weiß, dass ich das kann, und ich weiß, dass ich damit in der Vergangenheit erfolgreich war."
"Max hat sich als Fahrer enorm weiterentwickelt, aber das habe ich auch", sagt Sainz. "Es ist unmöglich zu sagen, was gewesen wäre - und wir werden es wahrscheinlich nie wissen. Ich kann nur sagen: Hätte sich die Chance ergeben, hätte ich sie vermutlich ergriffen. Ob das die richtige Entscheidung für meine Karriere gewesen wäre oder wie sich das Leben ab diesem Moment entwickelt hätte, das wird man nie erfahren."
Zwischendurch deutete alles auf Audi hin
Eine Aussage, die zwischen den Zeilen suggeriert: Die Chance, 2025 für Red Bull zu fahren, hat für Sainz nie ernsthaft existiert. Also stellte sein Management den Fokus um. Früh in der Saison 2024 deutete alles auf einen Wechsel zu Audi hin. Mit Sauber-Teamchef Andreas Seidl waren die Gespräche weit fortgeschritten. Eine offizielle Bekanntgabe bei Sainz' Heim-Grand-Prix in Barcelona im Juni schien möglich.
Aber Sainz hatte Zweifel. Er wollte sich bis zum letztmöglichen Zeitpunkt alle Optionen offenhalten, weil es zu dem Zeitpunkt zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz unmöglich schien, dass vielleicht doch bei Mercedes oder Red Bull eine Tür aufgeht. Daraus wurde nichts. Und am Ende unterschrieb er nicht bei Seidl (der später von Audi abserviert wurde), sondern bei Williams-Teamchef James Vowles.
Der hatte Sainz schon im Dezember 2023, beim Saisonfinale in Abu Dhabi, erstmals angesprochen: "Ich denke, du bist der perfekte Mann, um Williams auf dem Weg zu meinen Zielen und auf meiner Mission zu helfen. Und meine Mission lautet, Williams wieder konkurrenzfähig zu machen", erinnert sich Sainz an Vowles' Worte und betont: "Das war zwei Monate bevor irgendwas passiert ist."
Vowles habe, vermutet Sainz, keine Ahnung gehabt, warum sich die Unterschrift bei Ferrari von Woche zu Woche verzögerte: "Er wusste nur, dass mein Vertrag ausläuft. 'Ich weiß, dass du wahrscheinlich bei Ferrari verlängern wirst, wenn alles gut läuft. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich hier bin, und dass wir dich bei Williams haben wollen.' Er hat versucht, mich zu kriegen."
Imponiert habe Sainz dann, dass Vowles in den Vertragsgesprächen, die erst im Frühjahr 2024 vertieft wurden, keine Luftschlösser gebaut, sondern gesagt habe: "Erwarte nicht zu viel von 2025." Sainz erinnert sich daran, dass Vowles ihm erzählt habe, er rechne 2025 mit Mittelfeldergebnissen - und frühestens 2027/28 mit Siegen. Das habe Sainz positiv angerechnet, denn: "Wenigstens sagt er mir die Wahrheit. Er ist offen und ehrlich, und das weiß ich sehr zu schätzen."
Und genau so kam es dann auch: Sainz liegt in der Fahrer-WM 2025 derzeit an 15. Position unter bisher 21 Teilnehmern, mit 13 Punkten. Sein Teamkollege Alexander Albon ist mit 46 Punkten Achter, und Williams ist Fünfter der Konstrukteurswertung.