Motorsport Formel 1
Charles Leclerc: Emotionale Erinnerungen an Jules Bianchi
Zehn Jahre nach dem tragischen Tod von Jules Bianchi hat Charles Leclerc seinem engen Freund und Taufpaten mit rührenden Worten gedacht. Der Ferrari-Fahrer teilte seine Erinnerungen an Bianchi, der am 17. Juli 2015 im Alter von nur 25 Jahren verstarb - neun Monate nach einem schweren Unfall beim Großen Preis von Japan 2014.
Leclerc, der Bianchi über seinen älteren Bruder Lorenzo kennenlernte, sagte bei Formula1.com: "Meine ersten Erinnerungen an Jules betreffen nicht Jules den Rennfahrer, sondern Jules den Menschen. Ich habe ihn viel mehr als Mensch als als Fahrer erlebt."
"Unsere Familien waren und sind sehr eng miteinander verbunden. Mein Bruder und er waren beste Freunde, er war also ständig bei uns."
Er erzählte weiter: "Einmal sahen wir zusammen meinen ersten Horrorfilm - naja, eigentlich tat ich nur so, als würde ich schlafen, damit er mit meinem Bruder den Film schauen konnte!"
Leclerc lobte besonders Bianchis Persönlichkeit: "Jules war ein unglaublich netter Mensch, sehr witzig und manchmal ein bisschen verrückt, wenn man ihn besser kannte. Er war immer bereit zu helfen und wollte einfach Spaß haben."
Kartfahren nach Ladenschluss
Einige seiner schönsten Erinnerungen an Bianchi hängen mit der Kartbahn zusammen, die Bianchis Vater betrieb: "Eigentlich waren Mietkarts für Erwachsene gedacht, aber sein Vater ließ uns trotzdem fahren - auch wenn wir es vielleicht offiziell nicht durften."
"Ich habe zu ihm aufgeschaut. Mit ihm, meinem Bruder, seinem kleinen Bruder und vielen anderen Profi-Kartfahrern zu fahren - das war unglaublich. Wir warteten immer, bis die Bahn für die Öffentlichkeit geschlossen war, und dann sind wir stundenlang gefahren. Das sind wohl meine wertvollsten Erinnerungen."
Leclerc sieht Bianchi als wichtigen Einfluss für seinen eigenen Ehrgeiz: "Jules war der konkurrenzfähigste Mensch, den ich je getroffen habe. Diese Wettbewerbsfähigkeit habe ich heute noch in mir - egal ob beim Kartfahren oder bei den albernsten Dingen zuhause. Wenn er verlor, konnte er das kaum ertragen!"
Leclerc und der Mensch Jules Bianchi
Zum Schluss betonte Leclerc: "Ich hoffe, man erinnert sich an Jules als einen extrem talentierten Fahrer, der leider nie die Chance bekam, für ein Topteam zu fahren und sein ganzes Potenzial zu zeigen."
"Manche Menschen erkennt man an ihren Augen oder ihrem Lächeln - und Jules war einer dieser Menschen. Für mich ist das Wichtigste an Jules, wie freundlich und entschlossen er war, seine Ziele zu erreichen."
Eines dieser Ziele war, in der Formel 1 in die Punkte zu fahren - mit Hinterbänkler-Team Marussia. Das schaffte Bianchi 2014 beim Monaco-Grand-Prix mit Platz neun. Es waren sowohl für Bianchi als auch für Marussia die ersten Punkte überhaupt.
Ein Armband als Erinnerung
Wie viel diese Punkte allen Beteiligten bedeuteten, schildert der frühere Marussia-Sportdirektor und künftige Cadillac-Teamchef Graeme Lowdon im Podcast High Performance: "Wir ließen ein Jahr später Armbänder für alle im Team anfertigen, aber nur für Teammitglieder. Sie tragen die Aufschrift: 'Monaco 2014 P8 #JB17'."
Aber wieso eigentlich P8, wenn Bianchi doch P9 belegt hat? Lowdon: "Die Suchmaschine wird dir Platz neun anzeigen, weil wir in diesem Rennen bestraft wurden. Aber wir sehen es als Platz acht."
Vor allem sieht es Lowdon als "Erinnerung an Jules" und erklärt: "Die Idee war, an dieses Rennen zu denken. Als Teammitglied willst du dein Bestes geben für die Fahrer. Jeder kann dann kurz auf das Armband schauen und an Jules denken."
Er selbst habe das Armband seit 2015 "nie wieder abgenommen", beteuert Lowdon. "Und wenn man heute durchs Fahrerlager geht, sieht man auch andere Leute in anderen Teams, die sie noch tragen." Die Erinnerung an Bianchi sei also sehr lebendig, sagt Lowdon.
Doch da sind eben auch die Erinnerungen an den schweren Unfall in Suzuka und wie Lowdon die Situation erlebt hat. Er sagt: "Wenn jemand aus dem Team verletzt wird, ist das furchtbar. Und wir wussten ziemlich schnell: Es handelt sich um eine schwere Verletzung, denn wir bekamen keine Antwort [am Funk]. Das ist kein gutes Zeichen. Aber da weißt du eigentlich noch nichts Genaues."
Tagelang im Krankenhaus
Rasch stellte sich jedoch das wahre Ausmaß des Unfalls und der Verletzungen Bianchis heraus, sodass die Familie Bianchi sofort nach Japan aufbrach. "Daran denke ich heute noch", sagt Lowdon. "Was denkt die Familie wohl, wenn sie ins Flugzeug steigt? Es ist ja ein so langer Weg. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie das für sie war - diese Reise ins Ungewisse."
Als Marussia-Sportdirektor habe er sich deshalb sehr für die Familie eingesetzt, auch vor Ort im Krankenhaus. Doch die Haltung der Angehörigen habe ihn überrascht: "Das Erste, worüber sie sich Gedanken machten, war, wie es uns ging. Darüber habe ich noch nie gesprochen, aber von so etwas lernt man viel", meint Lowdon.
"Wir haben uns dann darum gekümmert, dass die Familie vollständig informiert war. Dass sie die Gewissheit hatte, dass es die bestmögliche medizinische Versorgung gab."
"Ich glaube, wir haben das Krankenhaus ein paar Tage lang nicht verlassen. Wir haben uns einfach irgendwo in einer Ecke zusammengerollt und auf dem Boden geschlafen. Ich trug Tage später noch meine Teamkleidung vom Renntag. Und erst wenn du dann wieder raus an die Sonne trittst, dann trifft es dich erst richtig."