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Motorsport Formel 1

"Unterschätzt": Ferrari-Teamchef spricht Klartext über Wechsel von Hamilton

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© Motorsport Images

Der Sprint-Sieg in China war ein großes Ausrufezeichen, doch ansonsten kommt Lewis Hamilton bei Ferrari bislang nicht in Fahrt: Das erste Podium fehlt dem Briten noch, und drei vierte Plätze in Imola, Österreich und Silverstone sind bislang die besten Ergebnisse des siebenfachen Weltmeisters.

Eine Bilanz, die nicht nur die leidenschaftlichen Tifosi enttäuscht, sondern auch Ferrari selbst. Und vor allem Lewis Hamilton. "Rückblickend muss ich zugeben, dass wir, damit meine ich Lewis und ich, den Wechsel in eine andere Umgebung unterschätzt haben", gibt Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur jetzt sogar zu.

"Er war vorher 18 Jahre lang beim gleichen Team, wenn ich McLaren und Mercedes mal als eine Heimat bezeichnen darf. Es war ein englisches Team, und das Motorumfeld blieb immer das gleiche", erinnert der Franzose im Gespräch mit Auto Motor und Sport. "Es ist ein größerer Unterschied zwischen Ferrari und Mercedes als zwischen Mercedes und McLaren."

Vasseur: Hamilton "öfter auf der unglücklichen Seite"

"Als Lewis bei Ferrari ankam, dachten wir naiverweise, dass er alles unter Kontrolle haben würde", gibt Vasseur zu. Doch damit haben sich die Italiener offenbar getäuscht. "Er ist keiner wie Carlos Sainz, der alle paar Jahre das Team wechselt und mit diesem Vorgang vertraut wäre."

Deshalb habe Hamilton "vier bis fünf Rennen gebraucht, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen", so der Ferrari-Teamchef. "Seit dem GP Kanada ist er eigentlich auf Kurs." Doch im Qualifying von Budapest folgte wieder ein großer Rückschlag, als Hamilton nur Zwölfter wurde, während Teamkollege Charles Leclerc die Pole holte.

Der Brite bezeichnete sich daraufhin als "nutzlos" und ging hart mit sich ins Gericht. Doch der Ferrari-Teamchef gibt seinem Piloten Rückendeckung. "Oft sind es die Umstände, und Lewis war da zuletzt öfter auf der unglücklichen Seite", betont Vasseur mit Blick auf das enttäuschende Qualifying in Ungarn.

"In Budapest lag er im Q1 vor Charles und war im Q2 nur um eine Zehntel langsamer. Zum Weiterkommen fehlten ihm 15 Tausendstel", erinnert der Franzose. "Am Ende ist der eine Erster und der andere Zwölfter. Das sieht natürlich dumm aus. Es fehlte aber nicht viel, dann wären wir mit unseren beiden Fahrern auf Platz elf und zwölf gelandet."

Hamilton "in seinen Ausschlägen immer extrem"

Deshalb will der 57-Jährige, der Hamilton auch schon aus den Nachwuchsklassen kennt, dem Vorfall nicht zu viel Bedeutung verleihen. "Lewis ist sehr selbstkritisch. Er ist in seinen Ausschlägen immer extrem", weiß Vasseur. "Manchmal geht er mit dem Auto zu hart ins Gericht, manchmal mit sich selbst."

"Er will das Maximum aus sich und allen im Team herausholen. Man muss ihn dann runterbringen und ihm erklären, dass er im Q2 nur eine Zehntel weg war von dem Fahrer, der später die Poleposition geholt hat", beruhigt der erfahrene Teamchef. "Das ist kein Beinbruch."

Wie es nun weitergeht? "Ruhig bleiben. Darauf aufbauen, dass ihm der erste Schritt schon gelungen ist. Sich nicht runterziehen lassen von so Dingen wie in Budapest", mahnt der Ferrari-Teamchef, der sogar deutlich wird: "Die Nachricht, die er damit aussendet, macht die Dinge nur schlimmer."

"Meistens ist er nur zur Presse so extrem. Wenn er dann in den Briefing-Raum kommt, hat er sich meistens schon wieder beruhigt. Das ist halt seine Art. Für mich ist das kein Drama", betont Vasseur. "Er fordert viel. Von anderen, aber auch von sich selbst. Damit kann ich leben."

Probleme bei Hamilton sind "nicht megagroß"

In seiner Vergangenheit als Teamchef beim Nachwuchsteam ART hat Vasseur mit vielen Talenten gearbeitet und kann das Verhalten des Briten einschätzen. "Nico Hülkenberg war der gleiche, als er für mich in der Formel 3 gefahren ist", erinnert er. "Er hat extrem viel vom Team verlangt. Er stand aber auch jeden Morgen um 6:30 Uhr auf der Matte."

Hamilton und Ferrari sind jetzt gemeinsam bemüht, die Schwierigkeiten des Briten zu beseitigen, um den Anschluss an seinem Teamkollegen wiederherzustellen. "Wir lösen die Probleme Schritt für Schritt", sagt Vasseur. "Sie sind nicht megagroß, sehen nur so aus."

"Wenn das Bremssystem nicht so ist, wie es der Fahrer gerne hätte, dann geht da vielleicht ein halbes Zehntel verloren. Von außen ist es oft schwer, schnell zu erkennen, wo genau er das halbe Zehntel verliert. So ein minimaler Zeitunterschied kann dir das ganze Wochenende zerstören."

Hamilton "übertreibt manchmal mit Problemen"

"Das kann der Unterschied zwischen Q2 und Q3 sein", betont der Ferrari-Teamchef mit Blick auf Ungarn, als Hamilton im Qualifying frühzeitig ausgeschieden war. Und dann wird Vasseur deutlich: "Lewis übertreibt manchmal mit Problemen, die er für sich im Auto sieht."

"Das Team will dann natürlich reagieren und alle stürzen sich auf dieses Problem", sieht der 57-Jährige im Verhalten seines Piloten sogar eine Erschwernis. Dass Hamilton mit dem Bodeneffekt-Auto im Allgemeinen eine Schwierigkeit hat, glaubt Vasseur allerdings nicht.

"Solange wir Bouncing hatten, vielleicht. Aber auch wenn wir immer an der Grenze zum Bouncing fahren, haben wir das jetzt einigermaßen unter Kontrolle", stellt der Ferrari-Teamchef klar. Und so wird das Rätselraten um die Leistung von Lewis Hamilton vorerst wohl noch weitergehen ...

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