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Borussia Dortmund: Julian Brandt als Sinnbild der Krise - ist die Kritik berechtigt? Ein Blick auf die Zahlen
- Aktualisiert: 16.02.2025
- 16:29 Uhr
- Chris Lugert
An Julian Brandt scheiden sich im deutschen Fußball die Geister. Für die einen ist er ein Ausnahmespieler, für die anderen ein Schönwetterprofi, der zu oft abtaucht. Wo liegt die Wahrheit? Wir blicken auf die Zahlen.
Von Chris Lugert
Möchte man die aktuelle Debatte um Julian Brandt verstehen, genügt ein Blick auf die letzte Aktion im Bundesliga-Heimspiel von Borussia Dortmund gegen den VfB Stuttgart am 21. Spieltag.
Der BVB liegt mit 1:2 hinten, bekommt in der absoluten Endphase der Nachspielzeit aber noch einmal einen Freistoß aus aussichtsreicher Position. Die Stuttgarter stellen nur einen Mann in die Mauer.
Brandt legt sich den Ball zurecht und kann aus halblinker Position entweder selbst den Torschuss versuchen oder eine Flanke in den Strafraum schlagen. Der 28-Jährige will offenbar flanken - und jagt den Ball weit ins Toraus.
Am generellen Talent von Julian Brandt gibt es im deutschen Fußball nur wenige Zweifel. Doch erzeugt der Mittelfeldspieler zu selten den Eindruck, ein Unterschiedsspieler sein zu können - vor allem, wenn es für sein Team nicht läuft.
Stattdessen hat sich Brandt inzwischen den Ruf eingehandelt, zu oft abzutauchen, wenn es darauf ankommt. Zudem mangele es ihm an Führungsqualitäten, die ein erfahrener Spieler wie er einbringen müsse, lautet dien Kritik.
Das Wichtigste in Kürze
Nach der 0:2-Niederlage beim VfL Bochum entbrannte die Diskussion neu. "Sky"-Experte Dietmar Hamann kritisierte Brandts Leistung als "unterirdisch" und legte dem BVB nahe, den Spieler zu verkaufen.
Brandt auf einer Stufe mit Musiala und Wirtz?
BVB-Trainer Niko Kovac hingegen hält große Stücke auf Brandt. "Wir sind uns alle glaube ich einig, dass Jule neben Wirtz und Musiala in diese Range dazugehört", hob er ihn auf eine Stufe mit den beiden deutschen Ausnahmespielern.
Im vergangenen November erhielt Brandt nach einjähriger Abstinenz wieder eine Einladung von Bundestrainer Julian Nagelsmann, der in Brandts Qualitäten ganz offensichtlich auch einen Mehrwert sieht.
Was aber sagen die Zahlen in der Bundesliga, gerade im Vergleich der drei Offensivkräfte?
Statistisch ist Brandt ein essenzieller Faktor für den BVB. Er kreiert pro 90 Minuten Einsatzzeit in der Liga etwas mehr als eine halbe Großchance - klarer Bestwert bei Dortmund. Damit befindet er sich im Ligavergleich in den Top-15 und sogar vor Musiala.
Brandt liegt in dieser Kategorie gleichauf mit Kevin Stöger von Borussia Mönchengladbach, allerdings ein gutes Stück hinter Wirtz, der auf fast 0,7 kreierte Großchancen pro 90 Minuten kommt. An der Spitze steht Bayerns Michael Olise.
Ganz vorne mit dabei ist Brandt auch bei den Torschussvorlagen. Pro 90 Minuten legt er knapp 2,4 Schüsse auf - damit lässt er sowohl Wirtz als auch Musiala hinter sich. Der BVB-Profi ist also sehr wohl präsent und Dreh- und Angelpunkt seines Teams.
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Was Musiala und Wirtz aber so besonders macht, ist ihre Stärke in den Eins-gegen-eins-Duellen. Beide suchen häufig das Dribbling und gewinnen jeweils auch prozentual mehr als die Hälfte der Duelle.
Da kann Brandt nicht mithalten. Er ist kein Spielertyp, der oft ins Dribbling geht - und wenn doch, dann gewinnt er weniger als 40 Prozent der Duelle. Dieses fehlende Spektakel-Element kann dazu beitragen, den Eindruck entstehen zu lassen, er sei phlegmatisch.
Brandt in anderer Rolle beim BVB
Allerdings interpretiert Brandt seine Rolle anders und ist auch in ein anderes Offensivkonstrukt eingebunden. Der BVB agiert traditionell mit schnellen, wendigen Flügelspielern, die über Außen mit Tempo die direkten Duelle und den Abschluss suchen.
Damit ist Brandt in dieser Rolle gar nicht gefordert. Er ist eher ein klassischer Zehner der älteren Schule, der das Spiel lenkt und seine Mitspieler in Szene setzt. In der laufenden Saison kommt er wettbewerbsübergreifend erst auf vier Tore, aber bereits zehn Assists.
Wirtz und Musiala hingegen haben andere Rollen. Bayer Leverkusen agiert ohne klassische Außenstürmer, Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo sind Schienenspieler mit anderen Aufgaben. Dadurch ist Wirtz automatisch mehr in der Verantwortung, den direkten Abschluss und daher auch die Dribblings zu forcieren.
Musiala durchlief in England eine ganz andere Ausbildung, die von jeher mehr Fokus auf die individuelle Ausbildung und nicht so sehr auf den taktischen Aspekt legt. Zwar spielen die Bayern eine ähnliche Grundordnung wie der BVB, dennoch ist Musiala trotz ähnlicher Position ein ganz anderer Spielertyp als Brandt.
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Was Brandt allerdings tatsächlich abgeht und in Spielen häufig zu beobachten ist, ist seine defensive Zurückhaltung, um nicht zu sagen: Abwesenheit. Nun ist der Zweikampf keine Kompetenz, an der überragende Offensivspieler zuvorderst gemessen werden.
Brandt defensiv zu schwach
Gerade in einer Debatte hinsichtlich Mentalität und Einsatz, wie sie beim BVB aktuell geführt wird, kann er aber zumindest ein Hinweis sein. Und der ist bei Brandt extrem. Weniger als 40 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnt Brandt - ein unterirdischer Wert, auch für einen Zehner.
Wirtz kommt in dieser Statistik immerhin auf gut 47 Prozent, Musiala sogar auf rund 55 Prozent. Es ist der wohl gravierendste Unterschied, zumal beim BVB seit Wochen und Monaten eben jene fehlenden Basics wie Zweikampfführung angeprangert werden.
Als Fazit lässt sich deshalb festhalten: In Sachen Kreativität und Spielwitz ist Brandt einer der Topspieler der Bundesliga, der sich auch hinter Musiala und Wirtz teilweise nicht verstecken muss. Insofern hat Kovac durchaus nicht unrecht, zumal Brandt der Treiber der BVB-Offensive ist.
Doch aufgrund seines Alters und seiner Rolle beim BVB ist er noch in anderen Bereichen gefordert. Als Leader seines Teams, der auf dem Platz vorangeht. Der auch mal Zeichen setzt, wenn es sein muss. Das kann er nicht erfüllen. Weshalb die öffentliche Meinung über ihn manchmal sehr negativ ist - vielleicht zu negativ.