Champions League
Champions League: Das wilde Projekt des FC Chelsea – blinde Kaufsucht oder geniales Erfolgsmodell?
- Aktualisiert: 17.09.2025
- 14:41 Uhr
- Chris Lugert
Der FC Chelsea wirkt in den vergangenen Jahren, als würde er von einem hyperaktiven Fan eines Videospiels geführt. Das Transfergebaren des Klubs wirft viele Fragen auf, doch allmählich stellt sich der Erfolg ein.
Von Chris Lugert und Nicolas Gödtel
Die Champions-League-Saison startet für den FC Bayern gleich mit einem echten Kracher: Am ersten Spieltag geht es zum Auftakt direkt gegen Chelsea. Für die Münchner ist es die erste Gelegenheit, die Frühform der Mannschaft unter Beweis zu stellen – und für Chelsea, den deutlich verkleinerten, aber weiterhin hochkarätigen Kader zu präsentieren.
Beim FC Chelsea hätte man nach der Sommerpause fast über drei Trainingsgruppen nachdenken können: Nach dem Sieg bei der Klub-WM und der Rückkehr aller Leihspieler und Spieler aus dem Urlaub hätte der Kader zeitweise aus satten 46 (!) Profis bestanden. Inzwischen hat sich die Situation deutlich entspannt: Auf der offiziellen Seite des Klubs sind aktuell "nur" noch 29 Spieler gelistet.
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Dieser Wildwuchs ist das Ergebnis eines fast schon abenteuerlichen Transfergebarens, das der Klub in den vergangenen Jahren an den Tag gelegt hat. Und bei dem zuweilen der Eindruck entstehen konnte, die Verantwortlichen hätten das reale Leben mit einem Extrem-Modus im Videospiel "Football Manager" verwechselt. Alles kaufen, was es gibt - und dann sehen, was daraus wird.
Dabei stand Chelsea einmal für deutlich mehr Seriosität, doch seit der Übernahme des Klubs durch Todd Boehly im Mai 2022 wurde der Verein umgekrempelt. Die Ära Roman Abramowitsch, die nun wahrlich nicht unerfolgreich war, wurde in Rekordzeit ausgelöscht. Fun Fact: Vom Kader, der im Februar 2022 die Klub-WM gewonnen hat, sind noch ganze zwei Spieler übrig: Reece James und Trevoh Chalobah.
Chelsea unter Boehly: 1,7 Milliarden Euro für Transfers
Angesichts des atemberaubenden Tempos, mit dem sich das Gesicht des Klubs seither gewandelt hat, konnten selbst eingefleischte Chelsea-Fans den Überblick verlieren. Doch es war nicht nur die reine Anzahl an Transfers, auch die Summen und Strukturen der Deals sorgten überall für Aufsehen.
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In der Saison 2022/23, der ersten unter Boehlys Regentschaft, investierte Chelsea 630 Millionen Euro (!) in Transfers - bei gleichzeitigen Erlösen von fast schon vernachlässigbaren knapp 67 Millionen Euro. Auch in den Jahren danach blieb Chelsea umtriebig, insgesamt gab der Verein unter Boehly bereits 1,7 Milliarden Euro für Transfers aus - in nur vier Jahren.
Die neu eingekauften Spieler wurden zudem mit Verträgen über sieben oder gar mehr Jahre an den Verein gebunden - etwas, das der Fußball so noch nicht gesehen hatte. Das hat vor allem buchhalterische Gründe. Ablösesummen können in den Bilanzen über die Vertragslaufzeit hinweg abgeschrieben werden.
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Je länger der Vertrag läuft, desto geringer ist die Summe, die pro Jahr in den Büchern auftaucht. Gleichzeitig sitzt der Klub im Zweifel aber ewig auf Spielern, die die Erwartungen nicht erfüllen und auf der Verkaufsliste landen, jedoch nicht gehen wollen. Das versucht Chelsea zu umgehen, indem man die Jahresgehälter aufgrund der langen Vertragslaufzeit ebenfalls niedriger ansetzt.
Chelsea feiert zunehmend Erfolge auf dem Platz
Dabei wäre es schlicht falsch und vermessen, Chelsea eine blinde Kaufwut zu attestieren. Denn die Neueinkäufe folgen nahezu alle einem bestimmten Schema. Sie sind jung, extrem talentiert und bestenfalls noch nicht so bekannt. Und Chelsea verfolgt diesen Weg überaus konsequent, inzwischen stellen die Blues mit rund 23 Jahren im Schnitt den jüngsten Kader der Premier League.
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"Das ist die Art und Weise, wie dieser Markt funktioniert", erklärte Boehly. "Ich sehe das weder als gut noch als schlecht an." Es gehe darum, eine langfristige Basis aufzubauen. "Und wie? Man identifiziert ein jüngeres Portfolio von Spielern, die über einen langen Zeitraum hinweg beständig und zuverlässig sind - und das ist eine Option, die wertvoll ist", sagte der US-Milliardär.
Chelsea verfolgt eine klare Strategie, deren Erfolg sich allmählich zeigt. In der Conference League trat der Londoner Klub zwar als haushoher Favorit an und hatte bis auf Finalgegner Real Betis Sevilla kaum einen gleichwertigen Kontrahenten. Doch die junge Mannschaft wurde den Erwartungen gerecht und gewann den Titel - was trotz allem kein Automatismus ist.
In der Premier League schaffte Chelsea trotz namhafter Konkurrenz den Sprung unter die Top-vier und damit die Qualifikation für die Champions League. Und bei der Klub-WM gelang - auch dank eines machbaren Turnierbaums - der Weg bis zum Titel.
Klub-WM gibt Chelsea finanziell Luft zum Atmen
Sowohl die Teilnahme an der Champions League als auch der Erfolg bei der Klub-WM lassen die Kassen an der Stamford Bridge mächtig klingeln. Durch den Titelgewinn beim Turnier in den USA hat Chelsea umgerechnet rund 123 Millionen Euro sicher.
Es sind wichtige Einnahmen für einen Klub, der sich auch den durchaus strengen Finanzregeln der Premier League unterwerfen muss. Diese besagen, dass ein Klub über einen Zeitraum von drei Jahren umgerechnet maximal 121 Millionen Euro Verlust machen darf, wobei bestimmte Ausgaben wie Investitionen in die Jugendakademie, Infrastrukturprojekte oder gemeinnützige Initiativen nicht angerechnet werden.
Chelsea selbst zeigte sich in jüngster Vergangenheit bezüglich der Vorgaben entspannt und verwies auf die deutlich gesunkenen Gehaltskosten sowie auf Erlöse bei den Spielerverkäufen jenseits der 600 Millionen Euro. Bei den Untersuchungen durch die Premier League wurde dem Klub die Einhaltung aller Richtlinien auch bescheinigt - anders als etwa dem FC Everton, dem in der Saison 2023/24 sechs Punkte abgezogen wurden.
Doch Tatsache ist auch, dass besonders die Saison 2024/25, die noch nicht in die Bewertungen eingeflossen ist, finanziell schmerzhaft war. Die Teilnahme an der Conference League brachte nur einen Bruchteil dessen ein, was in der Champions League möglich gewesen wäre. Zudem ist Chelsea seit vergangenem Jahr ohne Haupt- und Trikotsponsor unterwegs, wodurch jährlich ebenfalls Millioneneinnahmen fehlen.
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Chelsea senkt Defizit mit zweifelhaftem Deal
Letzteres war jedoch bewusst einkalkuliert, um keinen Vertrag abschließen zu müssen, wenn Chelsea in der Conference League spielt und damit weniger attraktiv ist. Jene sportliche und damit folglich auch werberelevante Attraktivität des Vereins ist in den vergangenen Monaten jedoch deutlich gestiegen, was den Wert eines Sponsorendeals nach oben treibt.
Allerdings musste Chelsea zur Einhaltung der Finanzregeln im vergangenen Herbst bereits zwei Hotels an eine Firma verkaufen, die Boehly gehört. Mit den Erlösen wurde das operative Defizit Berichten zufolge auf ein erlaubtes Maß gesenkt. Chelsea agiert also an der Kante des Erlaubten und teils mit Taschenspielertricks, um die Finanzen im erträglichen Rahmen zu halten.
Ein Kurswechsel ist nicht zu erkennen. Die Blues waren in diesem Transfersommer besonders aktiv – was angesichts der Kadersituation kaum überraschen dürfte. Chelsea-typisch zahlte sich die Strategie auch aus: Ohne die 17 zurückgekehrten Leihspieler zu zählen, kamen neun neue Spieler nach London. Insgesamt kostete dies den Klub 328 Millionen Euro.
Auf der anderen Seite zeigt sich, wie das Modell finanziell aufgeht: 14 Spieler verließen Chelsea, teils für hohe Ablösesummen. Neun davon für über 20 Millionen Euro, den teuersten Deal bildete Noni Madueke zum FC Arsenal für 56 Millionen Euro. Zusätzlich wurden zehn Spieler verliehen, darunter Nicolas Jackson zum FC Bayern München.
Insgesamt wurden in diesem Transferfenster 50 Spieler gehandelt – Ein- und Abgänge zusammengenommen. Das Ergebnis: ein knappes Transferplus von 4 Millionen Euro. Und dies ist nur der Auftakt zu Chelseas großer Strategie für die kommende Saison.
Chelseas Schattenseite am Beispiel Sterling und Disasi
Raheem Sterling und Axel Disasi zeigen aktuell, wie hart das Leben bei Chelsea sein kann. Beide Spieler wurden in der vergangenen Saison verliehen: Sterling wechselte für ein Jahr zum FC Arsenal, konnte sich dort jedoch gegen Gabriel Martinelli, Bukayo Saka und Leandro Trossard nicht durchsetzen. Disasi spielte ab Januar unter Unai Emery bei Aston Villa, konnte dort aber auch nicht überzeugen.
Zur aktuellen Saison sind beide Spieler bei Chelsea komplett aussortiert. Gegen Ende des Transferfensters wurden sie noch einmal mit Wechseln innerhalb der Premier League in Verbindung gebracht – doch diese kamen nicht zustande. Bis Januar sitzen sie nun auf der Tribüne.
Die Situation verschärft sich weiter: Auf die Frage, ob Trainer Enzo Maresca Kontakt zu ihnen aufgenommen habe, antwortete dieser knapp: "Ich habe sie nicht gesehen." Sterling und Disasi trainieren zu anderen Zeiten auf dem Gelände und haben nicht einmal Kontakt zur Mannschaft.
Auch auf den offiziellen Seiten Chelseas wirken die beiden wie ausgelöscht. Ihre nächste Chance auf Einsatz bietet sich erst im Januar, bis dahin sitzen sie auf der Tribüne.
Chelsea auf dem Weg zum Mount Everest?
Dennoch steht der Neuaufbau des Vereins unter Boehly noch am Anfang. Zuletzt wurde die Situation im Umfeld des Klubs mit dem Basislager am Mount Everest verglichen - man legt den Grundstein zum Sturm Richtung Gipfel.
Trainer Enzo Maresca soll auch in den kommenden Jahren der Architekt dieses Aufstiegs sein. Er verwies auf die lange Zeit, die Pep Guardiola bei Manchester City, Jürgen Klopp beim FC Liverpool und Mikel Arteta beim FC Arsenal gebraucht haben, um ihre Mannschaften aufzubauen. Dorthin will auch Chelsea.
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Es ist fraglich, ob das allerdings rein mit jungen Spielern klappen kann. Ältere Akteure, die einen hungrigen Kader ergänzen, können manchmal den Unterschied machen. Chelsea aber holt keine Erfahrung von anderen Klubs, sondern will den Kader selbst wachsen lassen. Ein Modell, das den gesamten Prozess noch einmal verlängert.
Doch der Verein ist von seinem Weg überzeugt. Die Zukunft wird zeigen, ob die aktuellen Entwicklungen der Startschuss für einen neuen Riesen sind. Oder ob das einzig riesige bei Chelsea auch künftig die überdimensionierten Kader sein werden.