Nations LEague
DFB-Team: Riccardo Montolivo schwärmt von Joshua Kimmich und Leon Goretzka
- Aktualisiert: 23.03.2025
- 10:59 Uhr
- Philipp Kessler
Bei der EM 2012 versetzte Riccardo Montolivo mit Italien der deutschen Nationalmannschaft im Halbfinale den Todesstoß. Über ein Jahrzehnt später schwärmt er von der neuen DFB-Elf und erzählt, warum sein Herz auch für Deutschland schlägt.
von Philipp Kessler
In seiner Brust schlagen zwei Herzen: das eine natürlich für Italien, und das andere für Deutschland. Riccardo Montolivo liebt beide Nationen.
Der Grund dafür: Die Mutter des früheren italienischen Nationalspielers, der von 2012 bis 2019 im Mittelfeld des AC Milan die Fäden zog, kommt aus Kiel.
Inzwischen ist der 40-Jährige, wie er in perfektem Deutsch erzählt, zu "100 Prozent Papa". Besondere Fußballspiele analysiert er aber als Experte für TV-Sender "Sky Italia". Auch das Viertelfinal-Rückspiel in der Nations League am Sonntag (ab 20.45 Uhr im Liveticker) zwischen Deutschland und Italien lässt er sich nicht entgehen.
Im Interview mit ran spricht Montolivo, der auch den Trainerschein besitzt, über seine zwei Herzensnationen, seine deutschen Wurzeln und seine schönste Erinnerung mit der italienischen Nationalmannschaft.
Das Wichtigste in Kürze
Montolivo: "Fühle mich auch Deutsch"
ran: Herr Montolivo, haben Sie sich über Deutschlands Sieg gegen Italien gefreut?
Riccardo Montolivo: Nein. Aber für mich sind diese Spiele immer besonders. Aus meiner Sicht ist es besser, wenn Italien gegen Deutschland verliert als gegen eine andere Nation. Ein Teil meiner Familie ist aber natürlich glücklich über das 2:1 der DFB-Mannschaft, vor allem meine Mutter.
ran: Sie ist auch der Grund dafür, warum Sie fließend Deutsch sprechen.
Montolivo: Das ist richtig. Meine Mama kommt aus Kiel, in meiner Kindheit hat sie oft Deutsch mit mir gesprochen. Bis ich 15, 16 Jahre alt war, sind wir regelmäßig zu meinen Großeltern nach Deutschland gefahren. Als ich angefangen habe, professioneller zu spielen, wurde das weniger. Im Laufe der Zeit habe ich einige Vokabeln verloren, weil ich sie kaum noch benutzt habe.
Durch meine Kinder spreche ich nun wieder regelmäßig die Sprache. Sie sind sechs und acht Jahre alt und gehen auf eine deutsche Schule in Mailand. Auch die Lehrer sprechen dort nur Deutsch. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Kinder die Sprache beherrschen. Sie könnten später dann auch in Deutschland arbeiten, falls sie das möchten. Sie haben zudem die Staatsangehörigkeit. Das muss sein. Mein Onkel lebt noch in Freiburg. Ich fühle mich auch Deutsch. Was aber richtig peinlich ist zuzugeben: Mit meinen Kindern bin ich noch nicht nach Deutschland gereist. Das werde ich aber bald machen.
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Deutschland gegen Italien: Die bisher größten Duelle
ran: Was ist Ihr Lieblingsort in Deutschland?
Montolivo: Kiel. Und ich mag auch Heidkate an der Ostsee. Mit meinem Bruder und meiner Familie haben wir dort früher viele Tage am Meer verbracht. Das sind schöne Erinnerungen.
ran: Was ist an Ihnen Deutsch und was Italienisch?
Montolivo: Ich bin sehr pünktlich und präzise. Ich möchte, dass die Dinge erledigt werden. Mein Charakter ist also Deutsch. Italienisch an mir ist meine Lebensfreude. Ich bevorzuge auch die italienische Küche. Unmöglich, dass deutsche Hausmannskost da rankommt.
ran: Zurück zum Sportlichen: Hatten Sie mal die Chance, für Deutschland zu spielen?
Montolivo: Nein. Ich weiß auch nicht, ob der deutsche Verband damals wusste, dass ich deutsche Wurzeln habe. Zur heutigen Zeit wäre das natürlich anders. Da weiß man fast alles über die Spieler. Ich bin in Italien aufgewachsen. Mein Traum war es immer, das Trikot der Azzurri zu tragen – auch, wenn ich Deutschland ebenfalls liebe.
EM-Halbfinale gegen Deutschland schönste Erinnerung
ran: 2012 haben Sie Fußball-Deutschland Schmerzen zugefügt: Im EM-Halbfinale haben Sie mit Italien die DFB-Elf 2:1 geschlagen.
Montolivo: Vor dem Turnier hatten wir zwei Freundschaftsspiele. Im San Siro und auch in Dortmund gab es damals ein 1:1. Bei der Europameisterschaft konnten wir dann knapp gewinnen. Das ist die schönste Erinnerung, die ich mit der Nationalmannschaft habe – obwohl wir das Finale gegen Spanien anschließend deutlich verloren haben. Es war einfach ein unglaubliches Spiel gegen eine unglaublich starke deutsche Mannschaft, die die WM zwei Jahre später gewonnen hat. Deutschland war gegen uns auch der Favorit, aber wir haben gewonnen.
ran: Sie haben dabei das zweite Tor von Mario Balotelli vorbereitet. Legendär war auch sein Torjubel, bei dem er das Trikot ausgezogen und die Muskeln angespannt hat.
Montolivo: Diesen Jubel sieht man noch überall. Am Donnerstag war ich bei Atalanta Bergamo zu Gast. Dort haben sechs- bis siebenjährige Kinder Fußball gespielt. Die waren 2012 noch gar nicht geboren, aber alle kannten den Jubel von Balotelli. (lacht) Der ist richtig berühmt! Meine Mama war damals froh über unseren Sieg, aber als Deutsche natürlich auch ein bisschen traurig.
ran: Am Donnerstagabend konnte sie sich aber über einen deutschen Sieg im San Siro freuen. Wie haben Sie das Spiel gesehen?
Italiens Schwächen sind Standards
Montolivo: Mir war klar, dass die deutsche Mannschaft im Moment stärker ist als unsere. Das Spiel am Donnerstag war aber ausgeglichen. Italien hat eine gute Leistung gezeigt. Aber auch dieses Mal hatten wir Schwächen bei Standards. Gegen Frankreich war das beim 1:3 im San Siro in der Nations League ebenfalls so. Das ist unsere große Schwäche. Deutschland dagegen ist richtig gut in diesen Momenten. Das war der Unterschied.
ran: Wie stark schätzen Sie die DFB-Auswahl ein?
Montolivo: Ich habe bei der EM im vergangenen Sommer das Spiel gegen Spanien als Experte von "Sky Italia" kommentiert. Wenn die Schiris da nicht geschlafen hätten, hätte Deutschland das beste Team rausgeworfen. Auch wenn wichtige Spieler wie Kroos, der seine Karriere beendet hat, Havertz, Wirtz oder Füllkrug dieses Mal gefehlt haben, gibt es noch einen Unterschied zu unserer Nationalmannschaft.
ran: Ist Deutschland schon auf Weltklasse-Niveau wie früher?
Montolivo: Noch nicht. Wenn alle Spieler fit und gut drauf sind, dann ist die Mannschaft richtig gut.
ran: Welche DFB-Stars beeindrucken Sie?
"Kimmich kann alles - er ist Weltklasse"
Montolivo: Kimmich ist für mich ein unglaublicher Spieler. Er kann alles. Er ist clever genug, um überall zu spielen. Er kann das Spiel in jedem Moment lesen. Beim FC Bayern ist er unter Pep Guardiola großgeworden. Pep war in ihn verliebt, weil er mit Kopf spielt. Kimmich ist Weltklasse.
ran: Wen finden Sie noch gut?
Montolivo: Auch Goretzka hat im Mittelfeld ein starkes Spiel gemacht. Musiala war zwar am Donnerstag nicht so gut, trotzdem ist er unfassbar stark. In der Abwehr gibt es noch Rüdiger. Sané finde ich ebenfalls gut, aber er hat nicht die Kontinuität. Deutschland ist unserer Nationalmannschaft noch ein paar Schritte voraus.
ran: Welchen Eindruck haben Sie von Bundestrainer Julian Nagelsmann?
Montolivo: Er ist noch sehr jung, aber hat trotzdem Erfahrung. Gegen Italien hat er im Viertelfinal-Hinspiel die richtigen Entscheidungen getroffen. In der ersten Halbzeit hat Italien Deutschland über die rechte Seite in Schwierigkeiten gebracht. Dann hat er zur Pause Schlotterbeck und Kleindienst eingewechselt – und das Spiel ist ganz anders geworden.
"Italien hat noch eine Chance"
ran: Italien wurde 2021 zwar Europameister, 2022 verpasste die Mannschaft aber die WM. Die richtigen Topstars wie früher fehlen inzwischen.
Montolivo: Trainer Spalletti hat bisher gut mit der Mannschaft gearbeitet. Wir haben uns verbessert. Aber vorne braucht man Spieler, die richtig gut im Eins-gegen-Eins sind und dribbeln können. Die haben wir leider derzeit nicht. Deshalb müssen wir mehr über die mannschaftliche Geschlossenheit kommen. Aber natürlich gibt es Spieler, die herausstechen. Bastoni ist ein sehr guter Verteidiger. Tonali ist einer der besten Mittelfeldspieler Europas. Mit Retegui fehlt uns momentan unser bester Stürmer. Wie gesagt, wir haben gute Spieler. Aber sie müssen sich erst noch auf Topniveau beweisen.
ran: Glauben Sie, dass Italien am Sonntag im Rückspiel in Dortmund das Viertelfinale noch drehen kann?
Montolivo: Ich glaube schon, dass Italien noch eine Chance hat. Natürlich hat Deutschland mit dem 2:1 im Hinspiel und dem Rückspiel in Dortmund einen großen Vorteil. Aber trotzdem denke ich, dass wir Deutschland schlagen können. Wir brauchen eine unglaublich gute Mannschaftsleistung. Aber das können wir noch packen.