American Football
NFL: Nadine Nurasyid exklusiv - "Hürde des Visums" hätte Trainer-Job bei Tampa Bay Buccaneers beinahe verhindert
- Veröffentlicht: 12.07.2025
- 10:35 Uhr
- ran/Christoph "Icke" Dommisch
Nadine Nurasyid schreibt Geschichte: Die Deutsche wird Teil des Coaching Staffs der Tampa Bay Buccaneers. ran hat sich mit der aufstrebenden Trainerin zum Interview getroffen und über ihren Karriereweg bis in die NFL gesprochen.
von Christoph "Icke" Dommisch
Großartige Leistung - aber auch große Ehre für Nadine Nurasyid.
Im Rahmen des Bill Walsh Diversity Coaching Fellowship hat die deutsche Trainerin den Sprung in die NFL geschafft.
Die Trainerin von ELF-Team Stuttgart Surge wusste zu überzeugen und konnte sich gegen eine große Anzahl an Konkurrentinnen und Konkurrenten durchsetzen. Die 40-Jährige ist in den kommenden Monaten Bestandteil des Coaching-Teams der Tampa Bay Buccaneers.
ran hat mit Nurasyid über ihren Werdegang, den Bewerbungsprozess und die ersten Berührungspunkte mit dem Ex-Team von Star-Quarterback Tom Brady gesprochen.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Vor ein paar Tagen erreichte uns die Nachricht, dass Sie zu den Tampa Bay Buccaneers gehen im Rahmen des 'Bill Walsh Diversity Coaching Fellowship'-Programms. Wann geht's denn jetzt los?
Nurasyid: Ganz offiziell geht es los am 21. Juli. Dann beginnt das Training Camp und ich werde am 19. losfliegen. Dann habe ich noch einen Tag Zeit, so ein bisschen den Jetlag rauszubekommen, bevor es dann am 21. so richtig zur Sache geht.
ran: Da ist nicht mehr viel Zeit, bis es tatsächlich losgeht. Wann haben Sie erfahren, dass es klappt?
Nurasyid: Ziemlich zeitnah nach der National Coaching Academy, die im Mai stattgefunden hat. Also gehe ich davon aus, es müsste noch im Mai gewesen sein. Aber es hat natürlich jetzt so ein bisschen gedauert, weil es dafür ein Arbeitsvisum gebraucht hat. Und da das natürlich nicht so einfach ist, unter Umständen auch lange dauert, habe ich mich auch noch gar nicht getraut, irgendwie die Nachricht kundzutun.
VIDEO: Letzte Sekunde an Silvester! Die unglaubliche Bewerbung von Nadine Nurasyid
ran: In Ihrem Podcast 'Between the Lines' haben Sie eine schöne Anekdote erzählt. Im Oktober war ja die Bewerbungsfrist, man konnte sie aber bis zum 31. Dezember abgeben, weil man, nachdem man sich beworben hatte, ja noch ein bisschen was erfüllen musste ...
Nurasyid: Ja, genau. Also sobald man alles abgegeben hatte - Lebenslauf, Empfehlungsschreiben und was man nicht so alles abgeben musste - gab es einen zweiten Schritt und das war ein Videointerview. Und in meiner Vorstellung dachte ich, in dem Moment, in dem ich dieses Videointerview starte, sitzt da vielleicht eine echte Person. Ich kann das nur einmal machen. Ich darf keinen weiteren Tab daneben offen haben.
Ich habe prokrastiniert wie ein Weltmeister und das ist eigentlich, wenn es um das geht, so gar nicht meine Art. Aber ich muss sagen, wie es ist: Ich hatte eine Heidenangst davor und da habe ich das so vor mir hergeschoben. Und dann war es schon der 31. Dezember. Mein Freund stand schon angezogen in der Tür, weil wir waren für sechs Uhr abends verabredet bei Freunden, weil wir dort Silvester verbringen wollten.
Und ich sitze schwitzend vor meinem Laptop und denke: 'Oh mein Gott, ich muss das noch machen.' Und dann war mir irgendwie klar: Da kann ja jetzt eigentlich gar kein richtige Person sitzen. Und dann habe ich das geöffnet und dann habe ich schon gesehen, dass man sogar das Video mehrmals hätte aufnehmen können. Aber ich hatte ja nicht mehr die Zeit dazu.
Man musste drei oder vier Videos in Summe abgeben und die Zeit war sehr begrenzt, ich glaube 60 Sekunden, und dann hat man einen Spielzug zu gesehen. Ich habe einen Defense-Spielzug der Bucs gesehen und musste das dann einordnen - also was ich gesehen hab, wer falsch war, was die Coaching-Punkte sind - und danach musste man sich auch selbst noch einmal vorstellen in den 60 Sekunden.
Und dann dachte ich mir na gut: '31. Dezember, letzter Tag, Let's go!' Und ich habe es tatsächlich dann zweimal aufgenommen, weil ich mich ein paar Mal versprochen hatte, dann auf Englisch mal, weil da geht es ganz schön zur Sache. Und dann hatte ich das erledigt und für mich abgehakt. Da habe ich gefühlt meinen Endgegner in 2024 gelassen und dann in das neue Jahr 2025 gefeiert und ehrlicherweise auch gar nicht mehr viel dran gedacht.
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VIDEO: "Kann jetzt nicht sein!" Nurasyid über Moment der Buccaneers-Zusage
Nadine Nurasyid: "Hürde des Visums" hätte Buccaneers-Job beinahe verhindert
ran: Wie laufen der Auswahl- und Vergabeprozess dann ab?
Nurasyid: [Das Programm] öffnet immer im Herbst des Vorjahres. Und dann bewerben sich alle Leute auf dieses 'Bill Walsh Diversity Coaching Fellowship'. Und aus diesem Bewerberpool können alle 32 Teams quasi picken. Und demnach sind da auch viele, viele Tausende drin. Und dann handhabt das jeder Klub auch anders. Die einen sagen: 'Ihr dürft kommen für die OTAs.' Die anderen sagen: 'Ihr dürft kommen für das Camp.' Andere dürfen ein paar Wochen in der Preseason verbringen. Und ich jetzt fünf Wochen Preaseaon inklusive dreier Preseason Games - was will man mehr?
ran: Wie lief der Moment ab, als du von deiner Annahme erfahren hast? Kam eine Mail? Hat jemand angerufen?
Nurasyid: Ja, es kam eine Mail. Eben diese hochoffizielle Email von den Tampa Bay Buccaneers. Und dann dachte ich erst mal: 'Ne, das kann jetzt nicht sein.' Und vor allen Dingen, als wir vor Ort waren, hatten wir eigentlich das Gefühl oder wurde das auch schon so kommuniziert, dass es für uns 'Internationals' wahrscheinlich nicht möglich sein wird, an dem Programm teilzunehmen - wegen der Hürde des Visums. Im Vorjahr wurde schon mal eine ausgewählt und da hat es mit dem Visum nicht geklappt.
Deswegen hatte ich relativ wenig Druck bei der Coaching Academy, weil ich dachte, ich stehe jetzt nicht im Wettbewerb mit irgendjemanden - ich dachte mir, das ist mein Höhepunkt. Ich habe versucht, jede Sekunde zu genießen, mir so viel Druck zu nehmen, wie ich nur kann - weil mehr werde ich nicht erreichen. Und dann kam die Email. Und tatsächlich war es aber nicht diese Freude im ersten Moment, sondern ich dachte mir: 'Oh ja, cool, aber das Visum.' Und dann kam aber die Mail, dass sie sich darum kümmern werden, und das haben sie auch bravourös gemacht. Und jetzt habe ich dieses Ding in meinem Pass und es geht nächste Woche auch schon los.
VIDEO: Männerdomäne NFL? So schaffte es Nurasyid als Frau
Nadine Nurasyid über Erwartungen: "Du bist jetzt eine Pionierin"
ran: Sie haben etwas geschafft, was wirklich außergewöhnlich ist. Die erste Frau zu sein in einer Sache, die sehr männerdominiert ist. Und wir hören ja auch immer, dass Football ein geschlossener Zirkel ist, dass es schwer ist, in solche Coaching Staffs reinzukommen. Sie waren 2022 der erste weibliche Head Coach in Europa. Was ist seitdem passiert?
Nurasyid: Dass ich die meiste Zeit seit 2022 außerhalb meiner Komfortzone war, das kann ich auf jeden Fall bestätigen. Aber wenn man in seiner Komfortzone bleibt, geht es natürlich auch nicht weiter. Man will jedes Jahr den nächsten Step gehen, einen Schritt weiter sein.
Damals war das natürlich schon viel mediale Aufmerksamkeit, die ich so gar nicht greifen konnte. Und außerdem lastete auf mir ja schon viel Druck. Ich war zum ersten Mal Head Coach. Es war eine ziemlich schnelle Karriere, ich bin ziemlich schnell Coordinator geworden, Head Coach geworden - und deswegen war der Druck eh schon groß. Und dann diese mediale Aufmerksamkeit, die fand ich dann noch irgendwie verwunderlich.
Und man sagte mir noch: 'Ja, Nadine, du bist jetzt eine Pionierin.' Aber in dem Moment greift man das noch gar nicht, weil man steht ja erst am Anfang. Jetzt, so ein paar Jahre später, rückblickend, kann ich auch selber auf mich stolz sein und sagen: 'Ich habe wirklich was geschaffen.' Aber in dem Moment kämpft man mit sich und arbeitet man sich von Tag zu Tag, von Saison zu Saison. Aber retrospektiv hat man dann schon einige Battles gekämpft und einige Herausforderungen überwunden und ich kann jetzt im Nachgang auf jeden Fall stolz auf mich sein, was ich geschafft habe. Inzwischen darf ich NFL-Spiele kommentieren. Und ich durfte in die ELF und bin jetzt gerade noch in der Saison mit Stuttgart Surge.
Dass ich jetzt in die NFL reinschnuppern darf, ist der ultimative Wahnsinn. Und dieses 'Bill Walsh Diversity Coaching Fellowship' war wirklich ein Traum. Und ich kann ja nicht nur als Coach unglaublich wachsen, ich habe Lernmöglichkeiten ohne Ende. Natürlich bereiten wir uns bestmöglich vor, lesen uns ein, schauen Videos, hören Podcasts, was auch immer. Aber mal wirklich dort zu sein, das zu erleben, ist etwas anderes. Und ich glaube, das macht mich in allem, was ich zukünftig tun werde, nur besser.
VIDEO: Deutsche Nadine Nurasyid coacht Buccaneers - komplettes Interview
Nadine Nurasyids Begegnung mit Head Coach Todd Bowles: "Das hat sich niemand getraut!"
ran: Wenn man dann das erste Mal durch die Facility läuft und sich da vorstellen muss bei den Coaches, dann ist man vielleicht so ein bisschen unsicher. Wie haben Sie das gemeistert?
Nurasyid: Wir wurden mit dem Bus dahin gefahren und dann hieß es: 'Jetzt ist Welcome Barbecue.' Was ja auch schon großartig ist, dass sie ein Barbecue für uns ausrichten in der Facility mit dem gesamten Staff. Das waren super viele Leute. Es war direkt vor der Indoor Facility, überall wehten die Buccaneers-Fahnen. Wir gingen über die Trainingsfelder zum Barbecue - und alle waren schon fleißig am Essen. Das war so ein surrealer Moment. Wir kamen da an und dann hieß es einfach: 'Jetzt mischt euch unter die Leute.' Wie soll das denn jetzt funktionieren?
Man wurde vorher schon instruiert, dass man sich zumindest bei dem Coach, bei der Positionsgruppe, bei der man dann sein wird, vorstellen soll. Einer von uns 25 ging dann auf diesen Tisch zu, wo unter anderem auch Larry Foote (seit sieben Jahren Coach bei den Bucs, seit 2025 Run Game Coordinator/Outside Linebackers Coach, Anm. d. Red.) saß. Also der Coach, dem ich zugeordnet war. Und dann standen die gerade alle auf und ich habe mich direkt dahinter gestellt und die Gelegenheit genutzt, mich vorzustellen.
Die kannten uns aber schon, die hatten sich vorbereitet auf uns. Die kannten unsere Namen, die kannten ein bisschen was von unserer Backstory - ob nun unsere Coaches oder der gesamte Staff. Und dann hat mir Larry Foote auch gleich den Stuhl angeboten, den einen freien an dem Tisch voller Coaches. Und da dachte ich mir: 'Hier sitze ich gut, das ist großartig.'
Todd Bowles hingegen saß am Tisch nebenan - und der Tisch war tatsächlich leer. Da hat sich niemand hingetraut. Danach gab es ein paar kurze Ansprachen, um uns willkommen zu heißen. Und da hatten die auch schon gesagt: 'Ihr dürft auch mit Todd Bowles sprechen, dem Head Coach der Buccaneers, weil er sitzt so alleine und es gibt noch genug freie Stühle. Traut euch.'