Boxen
Anthony Joshua wird von Daniel Dubois vermöbelt: Warum man jetzt seine ganze Karriere hinterfragen muss - ein Kommentar
- Aktualisiert: 22.09.2024
- 14:04 Uhr
- Chris Lugert
Anthony Joshua kassiert eine vernichtende Niederlage, die den gesamten Boxsport erschüttert. Jetzt müssen sogar Zweifel erlaubt sein, ob "AJ" wirklich zu den besten Boxern dieser Generation gehört. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
Das Bild des zusammengekauerten Anthony Joshua nach seinem finalen Niederschlag gegen Daniel Dubois sprach Bände. Es war der finale vernichtende Beweis der Unterlegenheit des früheren Weltmeisters.
Dieses Ergebnis hatte so kaum jemand kommen sehen. Im Kampf um die IBF-Weltmeisterschaft im Schwergewicht war der 34-jährige Brite als Favorit gegen seinen sieben Jahre jüngeren Landsmann Dubois gegangen. Doch was folgte, war nicht nur eine krachende Niederlage mit gleich vier (!) Niederschlägen in nur fünf Runden. Es war die Zertrümmerung eines Lebenswerkes.
Eigentlich wollte Joshua mit einem Sieg gegen Dubois zum dritten Mal Weltmeister werden und im kommenden Jahr gegen den Sieger aus dem Rückkampf zwischen Oleksandr Usyk und Tyson Fury antreten, um seinerseits dann der Undisputed Champion in der höchsten und prestigeträchtigsten Gewichtsklasse des Boxens zu werden.
Doch dieser Traum ist geplatzt. Joshua muss sich wieder ganz hinten anstellen, falls er überhaupt noch einmal eine WM-Chance bekommt. Nach dieser Darbietung vor der Rekordkulisse von 96.000 Zuschauern im Wembley-Stadion müssen rund um Joshua eigentlich ganz andere Fragen gestellt werden.
Ein Karriereende schloss er zwar aus, doch diesen Fleck auf seiner Weste wird er wohl nie wieder beseitigen können. Im Gegenteil: Jeder weitere Kampf könnte sein ohnehin schon ramponiertes Ansehen weiter schädigen, weshalb er sich gut überlegen sollte, ob er weitermacht.
Joshua galt als Heilsbringer
Es gab eine Zeit, da wurde Joshua als neuer Heilsbringer des britischen Boxens gefeiert. 2012 war er als Amateur in London Olympiasieger geworden, seine anschließende Profikarriere wurde wie auf einem Reißbrett Kampf für Kampf entworfen. 2016 wurde er erstmals Weltmeister, anschließend konnte ihn nicht einmal Wladimir Klitschko stoppen.
Erst die sensationelle Niederlage gegen Andy Ruiz 2019 kratzte an seinem Nimbus. Zwar holte er sich seine Titel in einem Rückkampf ein halbes Jahr später zurück, doch spätestens die beiden verlorenen Duelle gegen Usyk zeigten, wo sein Platz im Boxen der Gegenwart ist. Dass dieser sich nicht an der absoluten Spitze befindet, verdeutlichte die Niederlage gegen Dubois nochmals.
Auch viele seiner scheinbar großen Kämpfe verlieren nach einer kritischen Analyse in der Nachbetrachtung einiges an Wert. Der Sieg gegen Klitschko 2017 war spektakulär, doch der Ukrainer befand sich damals schon weit über seinem Zenit. Zudem schaffte es auch dieser alternde Klitschko bereits, Joshua zumindest einmal auf die Bretter zu schicken.
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Warum Joshua nicht so gut ist wie lange gedacht
Der erste Kampf gegen Ruiz war eine Götterdämmerung, gegen Usyk war er zweimal der verdiente Verlierer. Usyk, Joshua, Fury und Deontay Wilder galten über Jahre als die vier Großen im Schwergewichtsboxen. Doch weder gegen seinen Landsmann Fury noch gegen Wilder stand Joshua jemals im Ring. Und jetzt diese Vorstellung gegen Dubois.
Irgendwann in ein paar Jahren, wenn die aktuelle Generation abgetreten ist, werden Boxexperten zurückschauen und ihre Meinungen kundtun. Man wird an die historische Trilogie denken, die sich Fury und Wilder geliefert haben. An die Kämpfe zwischen Usyk und Fury, sofern der Rückkampf im Dezember auch wirklich stattfindet.
Joshua wird als langjähriger Weltmeister in Erinnerung bleiben, als einer, der seine Gegner über Jahre zuverlässig aus dem Weg geräumt hat. Und doch wird sein Name auch immer damit verbunden werden, dass es für die oberste Klasse dann doch nicht gereicht hat. Er war einer von vielen - auch deshalb, weil sein Kinn im Zweifel zu sehr aus Glas gemacht war.
Zahlreiche Legenden prägten über Jahrzehnte das Schwergewicht. Ali, Tyson, Holyfield, Lewis, heute Fury und Usyk. Mit diesen Namen können es nur wenige aufnehmen. Joshua gehört nicht dazu.