Nations League
Deutschland vs. Portugal: Nagelsmanns Fehler und ein Grundsatzproblem - die Erkenntnisse aus der Halbfinal-Niederlage in der Nations League
- Aktualisiert: 05.06.2025
- 16:36 Uhr
- Tobias Hlusiak
Die deutsche Nationalmannschaft verliert im Halbfinale der UEFA Nations League gegen Portugal und muss die Hoffnung auf den ersten Titel seit acht Jahren begraben. Das Spiel liefert viele Erkenntnisse.
Aus München berichtet Tobias Hlusiak
Die deutsche Nationalmannschaft hat das Halbfinale in der UEFA Nations League mit 1:2 (0:0) gegen Portugal verloren. Die Niederlage ist verdient, hätte sogar noch höher ausfallen können.
"Das war eines unserer schwächsten Spiele", resümierte der sichtlich bediente Kapitän Joshua Kimmich im Anschluss. "Man hat nicht gemerkt, dass wir eine Siegermentalität haben, dass wir die Gier haben, dass wir ins Finale einziehen wollen", so der Kapitän weiter.
"Wenn du nicht zu 100 Prozent attackierst, dann kann dich auch jede Drittliga-Mannschaft auseinander spielen. Wir haben heute nicht mit 100 Prozent gespielt, darum haben wir nicht gewonnen", kritisierte auch Julian Nagelsmann scharf.
Doch auch der Bundestrainer muss sich Vorwürfe gefallen lassen.
ran liefert die Erkenntnisse, die der gleich im doppelten Sinne verhagelte Abend in München brachte.
Taktik und Wechsel werfen Fragen auf
"Ich bin gerne bereit, über die Wechsel zu diskutieren", bot Nagelsmann den Journalisten auf der Pressekonferenz rund eine halbe Stunde nach Schlusspfiff an.
Gemeint war der Dreierwechsel des Bundestrainers, den er nach gut einer Stunde - beim Stand von 1:0 für seine Mannschaft - vorgenommen hatte. Niclas Füllkrug, Serge Gnabry und Robin Gosens für Nick Woltemade, Leroy Sane und Maxi Mittelstädt.
Jeder einzelne Tausch, ist begründbar. Die Menge aber, schien das deutsche Team aus der Bahn zu werfen.
Schon vor dem Dreifachwechsel war der Auftritt alles andere als gut gewesen. Nagelsmann selbst sprach später von einem "schläfrigen" Auftritt, wollte in Füllkrug und Gosens zwei "Energieträger" bringen.
Tat er auch. Allerdings ohne Erfolg. Nach dem dreifachen Wechsel wurde es noch schlimmer.
"Wir haben zwei heftige taktische Fehler gemacht, die zu den Gegentoren geführt haben", meinte der Bundestrainer bedient. Einen davon - den zum Ausgleich - machte Gosens.
Dadurch kippte die Dynamik im Spiel komplett. Gegen nun immer sichererer werdende Portugiesen, bekam Deutschland kein Bein mehr auf den Boden - und verlor.
Er wolle "jetzt nicht so draufhauen", betonte der Bundestrainer, analysierte aber: "Wir haben uns im eigenen Ballbesitz nicht gut präsentiert. Auch defensiv hatten wir nicht die Galligkeit, die uns in den letzten Spielen ausgezeichnet hat."
Doch auch daran trägt Nagelsmann entscheidenden Anteil.
Er hatte versucht, seiner verletzungsgebeutelten Truppe durch eine veränderte Grundordnung mehr Stabilität zu verschaffen. Doch das Experiment mit der Dreierkette ging zum wiederholten Male schief.
Jonathan Tah - der einen rabenschwarzen Tag erwischte - Robin Koch und Waldemar Anton harmonierten überhaupt nicht. Und im Spiel nach vorne fehlte Sicherheit, weil eine klare Anspielstation im Mittelfeld nicht zu finden war.
Für Leon Goretzka wurden nur 41 Ballkontakte notiert. Viel zu wenig für einen zentralen Mittelfeldspieler.
"Hinterher ist man immer schlauer, das ist als Trainer genauso wie als Journalist", wusste Nagelsmann.
Nations League – Motivationsloch nach Aus? Ter Stegen spricht Klartext
Externer Inhalt
DFB-Team: In der Breite fehlt die Qualität
Wahrscheinlich hätte der 37-Jährige viele der wilden Moves gar nicht gemacht, wäre ihm nicht schon vor der Partie ein ganzer Strauss an wichtigen Spielern weggebrochen.
Jamal Musiala, Antonio Rüdiger, Nico Schlotterbeck, Tim Kleindienst und Kai Havertz hätten der Mannschaft wohl allesamt gut getan, sie auf ein anderes Level gehoben, standen aber verletzungsbedingt nicht zur Verfügung.
Aber auch Angelo Stiller, der die Partie qua Spielweise hätte beruhigen können, ging dem DFB-Team ab.
Und so bleibt festzuhalten, dass Deutschland gut ein Jahr vor dem Start der WM in den USA, Mexiko und Kanada zwar in der Spitze gut aufgestellt ist, es in der Breite aber bedenklich wird.
"Ein Gosens oder Füllkrug - das ist keine europäische Top-Klasse. Auch hinten sind wir nach den Ausfällen von Rüdiger und Schlotterbeck nicht stabil genug", kritisierte der ehemalige DFB-Kapitän Michael Ballack bei "DAZN".
Besonders im Vergleich zu Portugal fiel der Unterschied ins Auge.
Bei den Gästen kamen Champions-League-Sieger Vitinha und Torschütze Francisco Conceicao, genau wie Liverpools Diogo Jota von der Bank und drehten das Spiel fast mühelos.
Joao Felix, Rafael Leao oder Goncalo Ramos wurden gar nicht erst gebraucht.
Diese Tiefe, über die auch die beiden anderen halbfinalisten Frankreich und Spanien verfügen, kann Deutschland Stand jetzt nicht aufweisen.
Das ist ein Grundsatzproblem, welches es zu beheben gilt.
Nations League - DFB-Fans nach Pleite sauer: "Bundes-Jule wirft Turnier weg"
DFB-Team: Auf Links klafft ein Loch
Auf einer Position wurde zudem zum wiederholten Male ein Mangel an Qualität deutlich, obwohl gar niemand verletzt war.
Maxi Mittelstädt hatte vom Bundestrainer den Startplatz auf der linken Schiene zugeteilt bekommen. Überzeugen konnte er nicht.
Genausowenig wie Gosens, der nach einer Stunde für ihn übernahm. David Raum wird deshalb am Sonntag im Spiel um Platz drei wohl seine Chance bekommen.
"Auf der linken Seite sind wir nur Durchschnitt – wenn überhaupt. Da müssen wir die Seite dichtkriegen, weil nach vorne relativ wenig kommt", erkannte auch Ballack.
Auf den Bundestrainer wartet hier eine Aufgabe.
Nations League: Füllkrug als Bodyguard? "Wollte Wirtz Schutz bieten"
EM-Euphorie ist erstmal verflogen
Obwohl die DFB-Elf seit Nagelsmanns Amtsübernahme einen klaren Aufwärtstrend erkennen lässt, ist die Euphorie nach dem großen Highlight Heim-EM erst einmal abgeflaut.
Die Stimmung im Münchner Stadion war während des Portugal-Spiels über weite Strecken eher als reserviert zu beschreiben.
Das ist keine wahnsinnige Neuigkeit, lässt aber erkennen, in welche Richtung es derzeit geht.
Schon am kommenden Sonntag sollten und werden Nagelsmann und Co. alles daran setzen, wieder für ein Erfolgserlebnis zu sorgen. Egal, wie das zweite Halbfinale ausgeht, es wartet ein Spitzengegner.
"Es ist psychologisch kein Feuerwerk, dass wir um Platz drei spielen. Aber da kann man super dran reifen und sich beweisen", meinte der Trainer.
Das gilt für seine Mannschaft, aber auch für ihn selbst.
Deutschlands Rekordspieler: Nationalspieler mit den meisten Einsätzen - Joshua Kimmich erreicht Meilenstein
-
Auch interessant: Nations League - DFB-Team gegen Portugal: So ist der WM-Titel utopisch – ein Kommentar. Und: U21-EM 2025: Antonio Di Salvo verkündet Kader - die Spieler in der Übersicht